Arbeitstitel: Nixen~Plot

 

Ein Fremder stolpert zwischen den Bäumen umher. Weit ab vom Weg irrt er nun schon seit Stunden durch den Wald, denn seine Kutsche ist liegen geblieben und er sucht nach Hilfe. Seine vornehme Kleidung lässt darauf schließen, dass es sich um einen Adeligen handelt - doch der lange Marsch durch Gestrüpp und Dornen Büsche hat das lange glatte Haar zerzaust und sich in feine Seide und schweres Brokat gebissen.

In seiner aufkeimenden Verzweiflung vermeint er plötzlich eine Reihe lieblicher Frauenstimmen zu vernehmen. Sie scheinen zu kichern, zu lachen … amüsieren sie sich etwa über ihn?

Entschlossen kämpft er sich durch das nächste Gestrüpp auf die Quelle des lieblichen Klanges zu. Im Aufblitzen eines Momentes kann er ungefähr ein halbes Dutzend nackter Frauen erkennen, die am Rande eines kleinen Waldsees sitzen. Doch sobald sie ihn sehen, stürzen sie sich kopfüber in die Tiefe des Wassers. Der Mensch reißt ungläubig die Augen auf, denn statt zweier Beine besitzen sie alle eine große, kräftige Fischflosse, die im einfallenden Sonnenlicht wie eine Regenbogen schillert. Enttäuscht lässt der Mann die Schultern sinken. Er hatte ob der menschlichen Laute gehofft, hier Hilfe in seiner misslichen Lage zu finden. Plötzlich dringt ein weiteres leises Kichern an sein Ohr. Eines der Wesen ist wohl besonders mutig sitzen geblieben entdeckt er nun, da er den Kopf ein Stück nach links wendet. Hinter vorgehaltener Hand besitzt diese doch tatsächlich die Dreistigkeit ihn, den Grafen, zu verspotten. So schnell er kann, läuft er auf das Mädchen zu, deren langes lapislazulifarbenes Haar in langen Wellen über ihre Schultern hinab fällt und so ihre Blöße bedeckt. Ihre hellen Augen beobachten den Fremden ganz genau. Ruhe und Konzentration liegen in ihrem Blick. Der Körper angespannt, bereit sie jederzeit zurück ins sichere Nass zu bringen.

Beschwichtigend hebt der Fremde beide Hände. „Bitte verzeiht, ich habe mich verlaufen. Meine Kutsche geriet in voller Fahrt ins Wanken und zerschellte am steinigen Wegesrand.“

Das Wesen kneift die Augen zusammen. Tiefe Männerstimme ist ihr feines Gehör nicht gewohnt und so dröhnt ihr ganzer Kopf während er spricht. „So sprecht doch leiser Fremder …“ säuselt sie, sacht wie der Wind. „… respektiert die Stille des Waldes. Leider muss ich euch sagen, dass ihr euch genau in den Mittelpunkt dieses wundersamen Forstes verirrt habt. Es würde mehrere Tagesreisen dauern ihn zu verlassen.“ Sie mustert den Fremden mit Bedacht und ihre Augen schweifen lange über die luxuriöse Bekleidung des Mannes. „Ich glaube kaum, dass ihr hier überleben werdet. Ihr seht nicht so aus, als könntet ihr auch nur eine Nacht hier draußen überstehen.“ Sie kichert wieder, als hätte sie gerade über irgendetwas Belangloses gewitzelt.

Gebannt steht der Fremde da und starrt sie an, völlig überwältigt vom magisch liebreizenden Klang dieser feinen Stimme. Wohl wissend um diesen lähmenden Effekt, lässt das Mädchen sich Zeit.

„Lebt wohl, Mensch.“ spricht sie noch im seichten Singsang, bevor ihr Körper bedächtig ins glasklare Wasser abtaucht. Dann passiert etwas Sonderbares. Als sie den Blick von ihm abwendet löst sich der Bann, fällt von ihm ab wie ein schwerer Mantel. „Warte …“ murmelt er leise und mit zwei, drei Sätzen ist er bei ihr, packt ihren Arm.

Der Himmel verdunkelt sich so rasch wie ein Augenaufschlag. Während ein stummer Schrei ihre sanft geschwungenen Lippen auseinander reißt und ihr liebliches Gesicht zu einer grotesken Fratze verzerrt, ertönt ein tiefes Donnergrollen in der Ferne. Luft dringt tief in ihre Lungen, der ganze Körper brennt innerlich. Sie windet sich, peitscht mit ihrer Schwanzflosse das Wasser auf. Erschrocken bemerkt der Fremde plötzlich Füße statt Schuppen in der schäumenden Gischt aufblitzen. Und ihr langes bläuliches Haar verblasst zu einem schalen Weiß. „Was hast du getan?“ stöhnt die Verwandelte und beginnt hastig zu keuchen, bevor sie schließlich hintenüber auf den feuchten Waldboden kippt – bewusstlos.

Vorsichtig löst er den Griff von ihrem Arm, platziert ihn andächtig auf ihrem bloßen Bauch. Der dunkle Himmel lichtet sich und vereinzelte Sonnenstrahlen legen sich auf eine riesenhafte Gestalt, die lautlos und unbemerkt aus den dunkelsten Tiefen des Sees auftauchte.

„Törichter Mensch, wie konntet ihr es wagen ihr das anzutun?“ erklingt ihre tiefe zornige Stimme, er fährt herum. Im schattigen Zwielicht kann er nun die Silhouette eine Frau erkennen … groß wie zwei aufgerichtete Bären. Das rotviolette Haar in aufragenden Zacken geflochten, wie eine Krone. Die Haut spannt sich in dunklem Bronze über die riesigen Brüste, welche sich in vor Wut schwerem Atem langsam und bedrohlich heben und senken. Die rechte Hand packt einen Dreizack, knapp so hoch wie sie selbst und aus knorrigen schwarzglänzenden Baumwurzeln verschlungen. Sein Ende versinkt in einem Gewirr aus unzähligen Tentakeln, die ihren Rumpf aufrecht halten.

„Ihr habt den unberührten Körper meiner Tochter entweiht und sie damit zur Gestalt eines Menschen verdammt. Solch unglaublicher Frevel verdient nur eine Bestrafung.“ Mit diesen Worten richtet sie die langen Zinken ihres Zepters auf den mickrigen Fremden und zischt lispelnde Laute.

Ein Brennen bildet sich auf seiner linken Brust und er sinkt schreiend in die Knie. Wie von Sinnen bäumt sich der Körper auf, denn es fühlt sich an als würden glühend heiße Klauen an seinem Herzen zerren und sein Fleisch verbrennen. Gleißend helle Blitze zucken unter seinen geschlossenen Lidern, lassen ihn glauben sein Ende sei nah. Doch genauso plötzlich wie er kam, verschwindet der Schmerz. Sein Herz hämmert laut und schnell gegen seine Rippen. So als wäre es vor lauter Erleichterung einem wilden Tanz verfallen. Durch leises Raunen angestachelt zwingt seine Neugier ihn die Augen zu öffnen. Dünner Rauch vernebelt zunächst seine Sicht – er stammt von seiner Brust, auf der nun ein dunkles Zeichen prangt. Nun aber sieht er, wie die riesige Königin sich über das zarte Geschöpf beugt, das seinetwegen so kraftlos am Boden liegt. Lange Fingernägel der linken Hand legen sich sanft und überaus vorsichtig auf ihre Wange, streichen den dünnen Hals hinab und legen sich federleicht auf ihren Brustkorb. Ein langes Kleid bedeckt sogleich den schmächtigen Körper. „Mein liebstes Kind …“ raunt das majestätische Geschöpf. „… nicht in meinen schlimmsten Vorahnungen hätte sich mir offenbahren können, was dir heute zugestoßen ist.“ Tiefste Trauer liegt in den rubinroten Augen, als sie spricht. „Kieran wird dich begleiten. Er wird dich beschützen, wenn der Mensch versagen sollte.“ Mit diesen Worten wendet sie den durchdringenden Blick ihrer großen Augen zurück zu seinem Gesicht. „Dieses Zeichen …“ Sie deutet auf seine Brust. „… wird dafür sorgen, dass ihr sie mit eurem Leben beschützen werdet – und das meine ich genau so wie ich es sage.“ Ein spöttisches Lachen lässt ihren vollen Busen wippen.

„Wird ihr ein Leid zugefügt, spürt ihr den Schmerz. Wird ihre Haut verletzt, vergießt ihr euer Blut. Wird ihr Leben beendet, erhält sie das Eure. Das ist der Fluch, den ich über euch sprach.“

Später erklärt sie ihm noch, dass nicht weit vom See eine Kutsche bereit steht. Mit Pferden die nicht müde werden, am Ziel der Reise jedoch zu Wasser zerfallen. Ein paar Minuten später findet er sich in der bereits fahrenden Kutsche wieder. Ihm gegenüber sitzend die schlafende Schönheit, an die er buchstäblich sein Herz verlor. Und in den blassen gefalteten Fingern auf ihrem Schoß liegt zusammengerollt ein kleiner schwarzglänzender Kobold …